Genregulation


Regulation: Wie die Aktivität der Gene gesteuert wird


Jede Zelle besitzt tausende von Genen, von denen die meisten nur zu einem bestimmten Zeitpunkt oder unter bestimmten Bedingungen aktiviert werden. Denn obwohl die Zellen eines vielzelligen Organismus genetisch gleich sind, können sie aufgrund unterschiedlicher Genaktivität zu vielen verschiedenen Zell- und Gewebetypen differenzieren. Über die Genregulation kann die Proteinbiosynthese an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden. Nur so ist es möglich, dass aus einer Eizelle ein Embryo mit bis zu 200 verschiedenen Zellarten entstehen kann.

Die Genexpression, also der gesamte Prozess des Umsetzens der im Gen enthaltenen Information in das entsprechende Genprodukt, kann an verschiedenen Punkten reguliert werden. Der allererste Schritt, die Steuerung des Transkriptionsstartes, ist bei den meisten Genen der wichtigste. Als Transkription bezeichnet man das Umschreiben der DNA in mRNA. Am Transkriptionsstart wird die generelle Entscheidung gefällt, ob das Gen exprimiert (abgelesen) wird oder nicht, und zum Teil auch schon, wie viele mRNA-Moleküle entstehen sollen. Auch die Effizienz des Beendens der Transkription ist entscheidend dafür, wie viele mRNA-Moleküle von dem Gen entstehen können, denn falls sich die Polymerase nicht schnell genug vom DNA-Strang löst, kann das nächste Polymerase-Molekül nicht nachrücken und die Produktion der mRNA-Moleküle wird verlangsamt. Vielfältige Möglichkeiten der Regulation sind auch beim Start der Translation gegeben. Als Translation bezeichnet man die Übersetzung der mRNA in Protein. Die Regulationsmöglichkeiten reichen von der Verwendung spezifischer Initiationsfaktoren bis hin zum generellen Abschalten der Initiation. Nach der Initiation der Transkription und der Initiation der Translation ist die Regulation der Halbwertszeit einer mRNA der wichtigste Regulationsprozess. Wenn eine mRNA sehr stabil ist, kann die Proteinproduktion auch noch lange nach der Inaktivierung des Gens stattfinden. Für Proteine, die im Bedarfsfall schnell "ausgeschaltet" sein müssen, also nicht mehr vorhanden sein dürfen, ist deshalb eine kurzlebige mRNA von Vorteil. Dabei kann die Stabilität der mRNA durch Anhänge reguliert werden, die die RNA vor Abbau schützen. Fertig prozessierte mRNAs werden aus dem Kern geschleust. Im Cytoplasma findet die Translation statt, hier wird die mRNA sofort mit Ribosomen besetzt. Für den Transport wird die mRNA mit verschiedenen Proteinen zu einem Komplex zusammengefügt, der dann durch die Kernporen wandern kann. Die Effizienz dieses Vorgangs bestimmt die Geschwindigkeit und die Menge an fertigen mRNAs, die ins Cytoplasma gelangen und dort in Protein übersetzt werden können.

Das Bereitstellen von Proteinen wird an die jeweiligen Bedürfnisse in den entsprechenden Zellen auch durch alternatives Spleißen angepasst. Die Mehrzahl der etwa 25.000 Gene des Menschen wird beim Ablesen nämlich nicht nur in ein Produkt übersetzt, vielmehr können auf Grundlage eines Gens häufig mehrere verschiedene Proteine gebildet werden. Diese unterscheiden sich in ihrer Sequenz, je nachdem, welche Teile des Gens für die Synthese des Proteins verwendet wurden. Dies ist möglich, da Gene in höher entwickelten Organismen nicht in einer ununterbrochenen Folge von Buchstaben zusammenhängen, sondern die kodierenden Bereiche, die sogenannten Exons, durch die nicht-kodierenden Introns voneinander separiert werden.




Bei der Herstellung von mRNA aus dem Gen können Exons entweder eingebaut oder übersprungen werden. Diesen Vorgang nennt man alternatives Spleißen, da die kodierenden Stücke des Gens unterschiedlich, also alternativ aneinandergehängt werden. Die Kenntnis um solche Spleißformen ist wichtig für die Funktionsanalyse, da sich Proteine durch das Vorhandensein oder Fehlen einzelner Sequenzabschnitte sehr in ihrer Funktion unterscheiden können. Häufig wird dieser Mechanismus eingesetzt, um Organ-spezifisch veränderte Proteine herzustellen, die an die jeweiligen Bedürfnisse in den entsprechenden Zellen angepasst sind. Es sind schon erste Beispiele für Erkrankungen beschrieben, die auf Fehlfunktionen bei der Herstellung von Spleißvarianten basieren.

 
Auch Micro-RNAs spielen eine wichtige Rolle bei der Genregulierung und können dabei verschiedenste biologische Prozesse beeinflussen, wie Entwicklung, Differenzierung und programmierten Zelltod. Micro-RNAs (miRNAs) sind kleine, konservierte RNAs mit einer Länge von ca. 22 Nukleotiden, die eine spezifische Verringerung der Proteinexpression bewirken können. Sie selbst besitzen dabei keine katalytische Aktivität. Vielmehr „führen“ sie Proteine zu Sequenzen in untranslatierten Bereichen von Boten-RNAs (mRNAs). Hier entfalten die Proteine ihre Aktivität, indem sie die Translation hemmen und/oder die Stabilität der mRNA verringern. Damit stellen die Micro-RNAs einen wichtigen Regulationsmechanismus innerhalb der Zelle dar.
Ein Mechanismus der Genregulierung ist die RNA-Interferenz (RNAi). Sie erfolgt durch kleine RNAs, auch „small interfering RNAs“ (siRNAs), kurze doppelsträngige RNA-Moleküle, die im Cytoplasma einer Zelle aus doppelsträngiger RNA durch ein Enzym namens Dicer geschnitten werden. Diese siRNAs teilen sich in einzelne Stränge: Der „sense“-Strang wird abgebaut, während sich der „antisense“-Strang, also der Strang, der komplementär zur mRNA ist, mit verschiedenen Proteinen zu einem Komplex zusammenlagert, dem RISC (RNA-induced silencing complex). Wenn die siRNA in RISC nun komplementär zu einer aktiven mRNA ist, kann sie an diese binden. Somit wird der gesamte RISC-Komplex in räumliche Nähe zu der mRNA gebracht und die Nuklease-Enzyme in RISC können die mRNA in der Zelle abbauen. Damit wird verhindert, dass ein Protein entsteht.



Auch kleine einzelsträngige RNAs, die synthetisch hergestellt wurden, werden als siRNAs bezeichnet. Diese können in der Forschung und Therapie gezielt eingesetzt werden. In der Forschung werden siRNAs beispielsweise in isolierte Zellen eingebracht (transfiziert), um die mRNA des Zielgens abbauen zu lassen. Da nun in der Zelle das entsprechende Protein nicht oder nur in geringer Menge gebildet wird, können sich daraus Hinweise auf die physiologische Bedeutung des betreffenden Gens ergeben. Als therapeutische Wirkstoffe eignen sich siRNAs, da Krankheits-relevante Fehlfunktionen im Körper unwirksam gemacht werden können, indem man ein entscheidendes Gen ausschaltet.
 

Zwar kann man gewisse Details des Differenzierungsprozesses zu vielen verschiedenen Zell- und Gewebetypen durch Steuerungs-Gene erklären, die auf der DNA liegen. Doch wird seit Jahren immer deutlicher, dass die Aktivität vieler Gene auch von außen beeinflusst wird. Mit diesen Mechanismen beschäftigt sich die Epigenetik. Die griechische Vorsilbe „epi“ in Epigenetik hat mehrere Bedeutungen, wie „nach“, oder „zusätzlich“. Epigenetisch sind demnach alle Prozesse in einer Zelle, die als „zusätzlich“ zu den Inhalten und Vorgängen der Genetik gelten. Beispielsweise gehören räumliche Gefüge, wie die Anordnung der DNA rund um Histonproteine (Chromatin) zu den epigenetischen Faktoren. Sie wirken als Schalter, die Gene an- und ausknipsen. Auch heften sich bestimmte Proteine an die DNA und helfen, jenes Enzym in Position zu bringen, das den genetischen Code abliest. Diese Positionen werden durch chemische Anhängsel markiert, die entlang des Doppel-Helix-Strangs oder auf dem "Verpackungsmaterial" der DNA verteilt sind. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Methylierung der Cytosin-Basen. Eine Häufung der methylierten Cytosin-Basen führt meist dazu, dass die betroffenen Gene stillgelegt werden.
In den vergangenen Jahren haben Epigenetiker große Fortschritte im Verständnis dieser übergeordneten Steuermechanismen erzielt. Dabei wurde immer klarer, dass das Epigenom für die Entwicklung eines gesunden Organismus ebenso wichtig ist wie die DNA selbst. Deutlich wurde bei den Forschungen auch, dass das Epigenom durch äußere Einflüsse weit leichter als die Gene verändert werden kann und dass epigenetische Signale von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden.
Wissenschaftler des NGFN untersuchen, wie genetische und epigenetische Regulationsmechanismen zusammenspielen und wie sich die genetische Information unter dem Einfluss äußerer Signale auf die Entwicklung und das individuelle Profil eines Organismus auswirkt. Sie tragen dadurch zu einem besseren Verständnis der Ursachen von Krebs, Herz-Kreislauf-, neurodegenerativen, umweltbedingten und Infektionskrankheiten bei. Hauptziel ist dabei, das Wissen zu nutzen, das man über epigenetische Veränderungen in Patienten erringt. So kann das Risiko von Patienten besser eingestuft werden, dass eine Erkrankung fortschreitet, der Therapieverlaufs kann verfolgt und neue therapeutische Strategien erarbeitet werden.
So wurde gezeigt, dass die DNA-Methylierung auch für die Entstehung von Krebs von entscheidender Bedeutung sein kann: Ist ein Gen stillgelegt, das die Zellteilung begrenzt, können sich die Zellen nun ungehindert teilen, was zu einem Tumor führen kann. Die Entwicklung von Methylierungs-Inhibitoren bietet die Möglichkeit diesen Prozess zu stoppen. Die Erforschung solcher Regulationsmechanismen kann damit Voraussetzungen für die Entwicklung neuartiger Formen von Therapien schaffen, die auf einer gezielten epigenetischen Umprogrammierung von Zellen beruhen.