GENE UND HEILUNG

Veränderte Gene und komplexe Krankheiten

Wenn eine Körper-Zelle ein neues Eiweiß benötigt, muss erst eine entsprechende Bauanleitung abgelesen werden. Die Informationen dazu sind in den entsprechenden Genen gespeichert. Gelegentlich wird die Bauanleitung durch äußere Einflüsse verändert. Das können kleine Veränderungen sein, bei denen nur ein einzelner Gen-Buchstabe ausgetauscht ist, es können aber auch ganze Abschnitte der Bauanleitung fehlen.Die Folge solcher Veränderungen: Das Eiweiß wird entweder gar nicht mehr hergestellt oder fehlerhaft zusammengebaut, so dass es nicht mehr richtig funktioniert. Manchmal reicht eine einzige Veränderung in nur einem Gen aus, um eine Krankheit auszulösen. In den meisten Fällen gibt es jedoch verschiedene molekulare Sicherheits-Vorkehrungen, durch die der menschliche Körper den Fehler wieder beheben kann. Eine Krankheit bricht meist erst dann aus, wenn mehrere Gene gleichzeitig verändert sind, und darüber hinaus noch schädliche Umwelteinflüsse oder schlechte Lebensgewohnheiten dazu kommen (z.B. Strahlung und/oder Rauchen und/oder ungesunde Ernährung). In der Fachsprache heißen solchen Krankheiten deshalb "komplexe Krankheiten".



 
Krebs, Allergien, Bluthochdruck und Alzheimer - alle diese bekannten Leiden fallen unter die Kategorie „komplexe Krankheiten“. Deshalb kann eine scheinbar ähnliche Krankheit bei verschiedenen Menschen durch unterschiedliche Kombinationen an erblichen Veränderungen und Umwelteinflüssen ausgelöst werden. Während bei einem Menschen ungesunde Ernährung und eine spezifische Genveränderung zu Bluthochdruck führen, sind bei einem anderen Bluthochdruck-Kranken vielleicht ein völlig anderes Gen und Alltags-Stress die Krankheitsauslöser. Deshalb ist es oft schwierig herauszufinden, welche Einflüsse eine komplexe Krankheit verursachen. Dies ist auch einer der Gründe, warum bisher nur ca. zwanzig Prozent der etwa 30.000 bekannten Krankheiten mit Medikamenten behandelt werden können. Optimale Therapien sind nur dann möglich, wenn man die genauen Ursachen einer Krankheit kennt. Eine nicht-optimale Therapie kann leicht gegenteilige Auswirkungen, wie unerwünschte Nebenwirkungen, auf den Betroffenen haben.

Mit Hilfe der medizinischen Genomforschung ist es möglich, neue Angriffspunkte für Medikamente zu finden. Hierzu vergleichen Wissenschaftler zunächst krankes und gesundes Gewebe und suchen nach Eiweißen, die beim kranken Patienten im Vergleich zum gesunden Menschen anders arbeiten bzw. verringert oder vermehrt im Körper vorkommen. Sie versuchen daraufhin einen Wirkstoff zu entwickeln, der die negativen Auswirkungen des veränderten Eiweißes abmildert oder beseitigt.

Individualisierte Medizin

Die Erkenntnisse der Genomforscher können auch auf andere Weise genutzt werden: So lässt sich vielleicht bald besser abschätzen, ob und in welcher Dosierung ein Medikament bei einem Patienten wirkt. Denn nicht alle Medikamente wirken bei allen Patienten gleich - zum Beispiel führt bei einigen Patienten schon die Standard-Dosierung eines gängigen Medikamentes zu schweren Komplikationen. Das Spektrum der Nebenwirkungen kann von Übelkeit über allergische Reaktionen bis hin zu Herzleistungsschwäche und erhöhtem Krebsrisiko reichen. Der Grund für solche Nebenwirkungen sind genetische Variationen in den Eiweißen eines jeden Patienten, zum Beispiel in den Eiweißen, die für den Abbau von Medikamenten zuständig sind. Manche dieser Eiweiße sind so verändert, dass sie Medikamente nicht oder nur sehr langsam aus dem Körper entfernen.
Bei manchen Patienten werden mit einem bestimmten Medikament gute Heilungserfolge erzielt, während es bei  anderen Menschen möglicherweise überhaupt nicht wirkt. Durch die Genomforschung öffnet sich die Möglichkeit, solche Patienten schon vorab zu identifizieren. Dann könnten die Ärzte rechtzeitig eine andere Therapie einleiten.
Am Beispiel von Brustkrebs kann dies bedeuten, dass der Tumor jeder einzelnen Patientin auf relevante Mutationen untersucht wird. Gezielt kann dann medikamentös an jenen Stellen eingegriffen werden, die ursächlich für diesen Krebs verantwortlich sind, um eine Heilung zu erreichen. Aufgrund der entscheidenden Erkenntnisfortschritte wird dies teilweise schon heute umgesetzt. Die individualisierte Medizin erfordert oftmals zwar einen höheren Diagnoseaufwand, doch bietet sie zugleich größere Heilungschancen und geringere Nebenwirkungen. Das Weglassen unnötiger Therapien kann zudem nicht nur die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten steigern, sondern zugleich auch helfen, Behandlungs- und Folgekosten einzusparen.