GENE LESEN

Die Struktur der menschlichen Erbsubstanz

Bis Anfang der vierziger Jahre wusste man nicht besonders viel über die Vererbung. Es war bekannt, dass bestimmte Merkmale von der Mutter und dem Vater auf die Kinder vererbt werden, und man nannte die Teilchen, die für diese Vererbung zuständig waren, "Gene". Woraus jedoch diese Gene bestehen und wie sie aussehen, das war lange ungeklärt.

Dann aber fanden die amerikanischen Forscher George Beadle und Edward Tatum heraus, dass Gene die Herstellung von Eiweißstoffen dirigieren und die Eiweißstoffe wiederum für die Ausprägung von Merkmalen (z.B. Körpergröße, Haarfarbe, Nasenform usw.) verantwortlich sind. Dafür erhielten sie den Nobelpreis. Im Jahr 1944 bewies schließlich der Chemiker Oswald Avery, dass die DNA für die Vererbung zuständig ist – ein Stoff, der aus Zucker, Phosphaten und vier so genannten Basen besteht. Nun wollte man natürlich wissen, wie die DNA aus diesen Bestandteilen zusammengesetzt ist.

Im Jahr 1951 gelangen der Röntgen-Expertin Rosalind Franklin zusammen mit Maurice Wilkins die ersten Röntgenstrukturaufnahmen der DNA: Bilder, die wichtige Informationen darüber lieferten, wie die DNA aussehen könnte. Sie ließen die Forscherin bereits vermuten, dass es sich bei der DNA um eine Helixstruktur, also eine Spirale handelt. Den beiden jungen Forscher James Watson und Fancis Crick gelang es schließlich, basierend auf den Röntgenstrukturbildern von Rosalind Franklin, die Struktur der DNA mit Hilfe eines selbstgebauten Modells auszutüfteln: Die DNA besteht aus 2 miteinander verbundenen, umeinandergewundenen Spiralen: sie hat die Form einer Doppelhelix. Für die Aufklärung des Aufbaus der DNA wurde Watson, Crick und Wilkins im Jahr 1962 der Nobelpreis verliehen. Rosalind Franklin war zu diesem Zeitpunkt schon verstorben und Nobelpreise werden nur an Lebende vergeben.


Den DNA-Code knacken

Die DNA sieht in etwa so aus wie eine fast endlose, verdrillte Strickleiter. Die Seile der Strickleiter bestehen immer abwechselnd aus einem Zucker und einer Phosphorsäure. Die Sprossen der spiralförmigen Leiter bestehen aus vier chemischen Substanzen ("Basen"). Diese Basen heißen A = Adenin, T = Thymin, C = Cytosin, G = Guanin. Schnell ist klar, dass die Kette dieser vier Basen in ihrer spezifischen Abfolge im DNA-Strang einen Code enthält: den Code zur Herstellung aller Körper-Bausteine. Maßgeblichen Anteil an der Aufklärung des genetischen Codes hatte der deutsche Wissenschaftler Heinrich Matthaie zusammen mit Marshall Nirenberg, in dessen Labor er arbeitete. Er fand heraus, dass eine bestimmte Basenabfolge auf der DNA für einen bestimmten Eiweiß-Baustein kodiert. Ein solcher Baustein eines Proteins wird Aminosäure genannt. Eine spezifische Abfolge von je 3 Basen enthält eine Anweisung, die für die Eiweiß-Fabriken der Zelle bestimmt ist. Bis zum Jahr 1966 gelang es dann, den gesamten universellen DNA-Code zu entschlüsseln. Die Anweisung des 3er-Codes "AGT" lautet zum Beispiel: "Nimm den Baustein namens Serin und knüpfe ihn ans Ende der im Bau befindlichen Bausteinkette". Dann folgen weitere Codes und so wird Baustein an Baustein zu einem Eiweiß zusammengesetzt. Zum Schluss kommt ein Code-Wort an die Reihe, das der Eiweißfabrik signalisiert: "Der Eiweißstoff ist jetzt fertig gestellt".



Ab 1961 wird das Geheimnis gelüftet, wie Eiweiße hergestellt werden: Die Eiweißfabriken - Ribosomen genannt - wandern an der Gen-Buchstaben-Kette entlang (durch farbige Stäbchen dargestellt). Nach den Anweisungen, die in der Buchstaben-Kette verschlüsselt sind, knüpfen sie einen Eiweiß-Baustein nach dem anderen an das Ende der Eiweiß-Kette (durch eine Kugel-Kette dargestellt). (Grafik: InformationsSekretariat Biotechnologie, modifiziert)

Die Entschlüsselung des gesamten menschlichen Genoms

Seit Mitte der 60er Jahre ist bekannt, wie die Erbinformation in der DNA gespeichert ist und wie die Baupläne für die Eiweißstoffe aussehen. Unser Körper ist aber aus Tausenden verschiedenen Eiweißstoffen zusammengesetzt. Um den kompletten Bauplan des Körpers lesen zu können, muss man die Anordnung aller Basen in der DNA-Kette kennen. Deshalb schlossen sich Wissenschaftler ab dem Jahr 1988 zum internationalen Humangenomprojekt (HGP) zusammen. Ziel dieser gemeinsamen Anstrengung war es, die DNA-Kette Baustein für Baustein bzw. Base für Base zu zerlegen und zu lesen. Es war das ehrgeizigste Forschungsprojekt aller Zeiten, und die Finanzierung erfolgte durch die öffentliche Hand. Mit Hilfe eines chemischen Verfahrens ließ sich bestimmen, ob der gerade zerlegte Baustein ein A, T, C oder G ist, und so konnte man einen Gen-Buchstaben nach dem anderen im Erbgut "lesen". Dies nennt man Sequenzierung der DNA. Im Jahr 1998 bekam das Genomprojekt mit Craig Venter, dem Direktor des Pharmaunternehmens Celera Genomics einen Konkurrenten. Er begann damit, das menschliche Erbgut auf eigene Faust mit einem schnelleren Sequenzierungsverfahren zu entschlüsseln, gefördert durch private Finanzierung. Im Frühjahr 2001 erreichten sowohl das HGP als auch Celera Genomics gleichzeitig das Ziel. Sie hatten die genaue Abfolge der 3,2 Milliarden Gen-Buchstaben bestimmt und konnten daraus ablesen, wie viele Gene der Mensch ungefähr hat. Hier wartete eine Überraschung auf die Wissenschaftler: Es stellte sich heraus, dass der Mensch etwa 20 000 bis 25 000 Gene besitzt, nur doppelt soviel wie z.B. eine Fliege! Wissenschaftler hatten mit wesentlich mehr Genen im menschlichen Erbgut gerechnet.

Als Nachfolgeprojekt des HGP wurde im September 2003 ein hoch interaktives, öffentliches Forschungskonsortium ins Leben gerufen, die Encyclopedia Of DNA Elements (ENCODE). ENCODE hat das Ziel, die Identität und genaue Lage aller Gene und anderer funktionaler Elemente im menschlichen Genom zu bestimmen. Diese beeinflussen zum Beispiel die Chromosomenstruktur oder regulieren die Transkription. Erst die Kenntnis dieser funktionalen Zusammenhänge erlaubt potentielle Krankheitsrisiken vorauszusagen und kann zur Entwicklung neuer Therapien für Krankheiten genutzt werden.