GENE VERSTEHEN


Vom Lesen zum Verstehen der menschlichen Erbsubstanz

Das menschliche Erbgut enthält etwa 20 000 – 25 000 Baupläne (Gene) für alle Bestandteile des Körpers. Die meisten Gene enthalten die Anleitung zur Herstellung eines bestimmten Eiweißes.
Eiweiße sind die wichtigsten Baustoffe des Körpers. Sie bewerkstelligen alle Aufgaben, die zur Lebenserhaltung und Funktion unseres Körpers notwendig sind, und bilden Strukturen wie z.B. Muskeln und Haare. Andere Eiweiße wiederum arbeiten als kleine Miniaturwerkzeuge in einer Körperzelle, die sogenannten "Enzyme".




Die Bauanleitung für ein Eiweiß muss erst von der DNA abkopiert werden, bevor mit der Herstellung des Eiweißes begonnen werden kann. Dazu fährt ein Kopierwerkzeug (blau) am DNA-Faden entlang,spaltet ihn auf und erstellt  eine exakte Kopie der Genbuchstaben-Abfolge. Der DNA- Faden schließt sich anschließend wieder.


Es ist aber bei weitem noch nicht für alle Eiweiße bekannt, welche genauen Funktionen sie jeweils haben und mit welchen anderen Eiweißen sie z.B. wechselwirken. Denn erst ein kompliziertes Zusammenspiel der Eiweiße führt dazu, dass bestimmte Merkmale oder Vorgänge im Körper zustande kommen. Es gibt z.B. nicht nur ein Eiweiß, das für die Augenfarbe verantwortlich ist, sondern es sind mehrere Eiweiße an der Produktion der Farbpigmente beteiligt. Seit der vollständigen Sequenzierung des menschlichen Genoms ist es daher die wichtigste Aufgabe der Wissenschaftler, die Funktion eines jeden Eiweißes herauszufinden.
Die Forscher wollen außerdem bestimmen, wo die einzelnen Eiweiße im Körper vorkommen, bzw. von welchen Zellen sie gebildet werden. Dazu müssen sie wissen, welche Gene der Zellen in einer bestimmten Körperregion zu einem bestimmten Zeitpunkt "abgelesen" werden. "Ablesen" heißt, dass einzelne Bauanleitungen vom langen DNA-Erbfaden selektiv kopiert werden. Dies geschieht durch ein Kopier-Werkzeug, das an dem entsprechenden Abschnitt des Erbfadens entlangläuft und eine exakte Kopie der Genbuchstaben-Abfolge herstellt. Diese Kopie wird dann an den Eiweiß-Fabriken als Lesevorlage zur Herstellung eines Eiweißes verwendet.

Jede Körperzelle, egal in welchem Gewebe sie sitzt und welche Funktion sie hat, enthält die gesamte Erbinformation, also ca. 20 000 - 25 000 Gene. Und jede Körperzelle hat ein eigenes Programm, das genau vorgibt, zu welcher Zeit ein bestimmtes Eiweiß hergestellt werden soll, damit die jeweiligen Zellen ihre spezifischen Aufgaben durchführen können. Die Bauanleitung, die gerade abgelesen wird, heißt in der Fachsprache "aktives Gen". Mit den Mechanismen, die die Genaktivität regulieren, beschäftigt sich die Epigenetik.

Mit Hilfe von Gen-Chips, die Ende der 80er Jahre entwickelt wurden und seit Mitte der 90er Jahre auch kommerziell hergestellt werden, können Genomforscher heute tausende Gene gleichzeitig untersuchen. Auf den Gen-Chips befinden sich spezifische, bekannte DNA-Stücke, mit denen man z.B. Patientenproben aus unterschiedlichen Geweben analysieren kann. Dadurch können gewebespezifische Unterschiede in der Aktivität einzelner Gene nachgewiesen werden, oder man kann die Analyse zur Feststellung von Gen-Veränderungen bei bestimmten Krankheiten verwenden. Andere ausgeklügelte Techniken ermöglichen es, der genauen Funktion der Eiweiße auf die Spur zu kommen.
So entsteht nach und nach ein "Schaltplan" der Vorgänge in unserem Körper. Mithilfe dieses "Schaltplans" können die Genomforscher verstehen, wie Krankheiten entstehen. Denn sie können den "Schaltplan" eines gesunden Menschen mit dem eines kranken Patienten vergleichen und herausfinden, welche Komponenten des Schaltplans beim Kranken fehlerhaft sind.