Genetische Varianten und Krankheiten


Genetische Varianten und Krankheiten


Es sind die kleinen Unterschiede, die uns zu unverwechselbaren Individuen machen. Denn abgesehen vom Sonderfall eineiiger Zwillinge gleicht kein Erbgut dem anderen. Jeder Mensch hat eine individuelle Zusammensetzung an Genvarianten. Diese Mischung bestimmt unsere Augenfarbe, die Farbe der Haare und zum Teil auch unsere Persönlichkeit. Diese Genvariationen machen uns aber eventuell auch anfällig für Krankheiten oder beeinflussen die Wirksamkeit von Medikamenten. Sie sind dafür verantwortlich, dass der eine leichter Übergewicht bekommt oder eher zu Asthma neigt als der andere, oder dafür, wie gut depressive Patienten auf Medikamente reagieren.
Der Großteil dieser individuellen Gen-Unterschiede beruht auf winzigen Abweichungen im Erbgut: auf der Veränderung nur eines Buchstaben im Alphabet der DNA. Vereinfacht kann man sich die DNA als einen langen Faden vorstellen, bei dem 3,2 Milliarden Buchstaben aneinandergereiht sind. Die Reihenfolge der Gen-Buchstaben ist wichtig und festgelegt. Wenn wir die Reihenfolge der Gen-Buchstaben zwischen zwei Menschen vergleichen, sehen wir manchmal Unterschiede in einzelnen Gen-Buchstaben. Zum Beispiel würde eine Person an einer bestimmten Stelle den Gen-Buchstaben "A" haben, während sich an der entsprechenden Stelle einer anderen Person der Gen-Buchstabe "T" befindet.
Wenn wir am DNA-Strang entlang gingen, würden wir durchschnittlich in einem Abstand von etwa 1.000 Gen-Buchstaben auf solche Varianten treffen. Inzwischen geht man genomweit von ca. 10 Millionen Stellen aus, an denen Unterschiede in einzelnen Gen-Buchstaben vorkommen, etwa 93% der Gene tragen zumindest einen. Solche kleinen Veränderungen nennt man SNPs. SNP steht für den englischen Begriff "single nucleotide polymorphism", was übersetzt so viel heißt wie "Variation einzelner Gen-Buchstaben".

Streng genommen handelt es sich bei SNPs um Mutationen. SNPs sind regional sehr unterschiedlich über das gesamte Genom verteilt. Viele dieser Varianten sind jedoch ohne große Auswirkungen, denn nur ein kleiner Teil des Erbguts enthält die eigentliche Konstruktionsanleitung für z.B. Proteine. Der Rest des genetischen Materials - etwa 98% - wurde bis vor kurzem "Müll-DNA" genannt. Diese Bezeichnung wird diesen Bereichen des Erbguts nicht gerecht, denn einige von ihnen haben wichtige regulatorische und andere, bisher teilweise noch unbekannte Funktionen.

Betrifft der Basenaustausch ein Gen, beeinflusst er direkt das Genprodukt – also das Protein welches dann entweder gar nicht mehr hergestellt oder fehlerhaft zusammengebaut wird. Diese Veränderungen in den Genen können Krankheiten verursachen oder zumindest zu einer veränderten Anfälligkeit gegenüber Krankheiten führen. Ein Beispiel: Bestimmte genetische Varianten in der Bauanleitung für den Blutfarbstoff Hämoglobin verursachen die Krankheit Sichelzellanämie. Durch die Sichelzellform der roten Blutkörperchen haben die Träger dieser genetischen Varianten bei körperlicher Anstrengung Nachteile – auf der anderen Seite sind die Betroffenen jedoch widerstandfähiger gegenüber dem Malaria-Erreger, wodurch diese Genvariation offenbar Vorteile in Gegenden mit hoher Malaria-Prävalenz bietet.
Gen-Variationen, beziehungsweise die durch sie bedingten Unterschiede in bestimmten Eiweißen, sind auch der Grund dafür, warum Menschen auf bestimmte Medikamente unterschiedlich ansprechen. Auf diese Weise beeinflussen die Gen-Varianten, also die SNPs, wie effizient ein Medikament aufgenommen wird, und wie es im Körper wirkt.
Es gibt beispielsweise Eiweiße, die für den Abbau von Medikamenten zuständig sind. Aufgrund der Veränderungen im genetischen Bauplan sind diese Eiweiße bei manchen Menschen so verändert, dass sie Medikamente nicht oder nur sehr langsam aus dem Körper entfernen.
Bei manchen Patienten wirkt ein Medikament gar nicht, obwohl bei anderen Menschen mit dem gleichen Arzneimittel gute Heilungserfolge erzielt werden. Die meisten Medikamente funktionieren so, dass sie an ein schädliches Eiweiß andocken müssen, um seine gefährliche Aktivität zu blockieren. Gerade an besagter Andockstelle ist das Eiweiß jedoch manchmal genetisch bedingt so verändert, dass das Medikament sich nicht mehr dort anlagern kann und so wirkungslos bleibt.
Deshalb ist es ein wichtiges Ziel der Wissenschaftler des Nationalen Genomforschungsnetzes im Programm der Medizinischen Genomforschung, das Wissen um die genetischen Varianten zu vertiefen und dann optimal zu nutzen. Sie können beispielsweise herausfinden, welche Medikamente für bestimmte Patienten am besten geeignet sind. Es eröffnen sich damit Möglichkeiten, für jeden Kranken eine maßgeschneiderte Therapie zu entwickeln.