Genomweite Assoziationsstudien - Forschungsansatz mit Erfolgsgarantie
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Die Wissenschaftler vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, von der Ludwig-Maximilians-Universität München und vom Helmholtz Zentrum München untersuchten in internationaler Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus 48 Forschungszentren aus Europa und den USA im Rahmen des internationalen CHARGE Konsortiums zu Vorhofflimmern über 28.000 Menschen europäischer Abstammung in Hinblick auf das PQ-Intervall aus dem Elektrokardiogramm (EKG). Diese Größe bezeichnet die Zeitdauer vom Beginn der Erregung der Herzvorhöfe bis zum Beginn der Kammererregung und ist damit ein Maß für die kardiale Erregungsausbreitungsgeschwindigkeit. In der medizinischen Praxis ist das PQ-Intervall ein wichtiger diagnostischer Parameter zur Beurteilung der elektrischen Aktivität der beiden Vorhöfe des Herzens sowie der Überleitung der elektrischen Erregung auf die Herzkammern durch den AV-Knoten (Atrioventrikularknoten). Seine übermäßige Verlängerung stellt ein starkes Risiko für Vorhofflimmern dar. Aber auch im darunterliegenden Normalbereich unterliegt das PQ-Intervall einer deutlichen Schwankungsbreite.

Arne Pfeufer und seine internationalen Kollegen machten sich eben diese Schwankungsbreite in der Allgemeinbevölkerung zunutze und untersuchten zweieinhalb Millionen häufige Varianten in den Genomen aller Studienteilnehmer. Sie identifizierten insgesamt neun genomische Regionen, die die Erregungsausbreitung signifikant beeinflussen. „Wir ahnten schon lange, dass uns die komplexe Genetik von Vorhofflimmern vor besondere Probleme stellen würde“, sagt Pfeufer. „Das liegt daran, dass es sich um eine so multifaktorielle Erkrankung handelt. Im letzten Jahr haben wir im CHARGE Konsortium bei der direkten Untersuchung von 3.400 Vorhofflimmerpatienten lediglich eine einzige neue Risikovariante im ZFHX3-Gen auf Chromosom 16 entdeckt. Mit den beiden schon bekannten Genen PITX2 und KCNH2 waren vor unserer jetzigen Studie nur drei Gene verlässlich mit Vorhofflimmern assoziiert. Jetzt haben wir bei fünf der neun assoziierten Regionen neben dem Einfluss auf das PQ-Intervall zusätzlich einen Einfluss auf das Vorhofflimmerrisiko festgestellt und haben so die Zahl der vorhofflimmerassoziierten Gene auf acht erhöht. Dafür mussten wir aber auch fast zehnmal mehr Personen untersuchen. Aber unser Ergebnis hat uns in unserer Auffassung bestärkt, dass der indirekte Forschungsansatz zu Arrhythmien, nämlich der über EKG-Parameter in der Normalbevölkerung, eine wertvolle Ergänzung zur direkten Erforschung von Herzrhythmusstörungen darstellt. Besonders erfreulich ist, dass Forscher von zwei weiteren Studien, der LOLIPOP Studie aus London und von DeCODE aus Island, deren Arbeiten zum PQ-Intervall mit unserer zusammen veröffentlicht werden, unsere Ergebnisse bestätigen. Das zeigt, dass unser Forschungsansatz verlässliche Resultate liefert, die auch für andere ethnische Bevölkerungsgruppen valide sind.“

„Der Effekt jeder einzelnen Variante auf das PQ-Intervall und damit jedes einzelnen Gens für sich genommen ist mit einem Zeitraum zwischen einer und vier Millisekunden – bei einer Länge des PQ-Intervalls von durchschnittlich 165 Millisekunden – nur gering“, sagt Stefan Kääb, Oberarzt an der Klinik für Kardiologie am Klinikum der LMU München Grosshadern und Leiter der Spezialsprechstunde für genetisch bedingte Arrhythmieerkrankungen. „Aber in ihrer Summe können sie durchaus spürbare Effekte für den Einzelnen bewirken. So erhöht beispielsweise die Zunahme des PQ-Intervalls um fünf Millisekunden das Risiko für ein Neuauftreten von Vorhofflimmern innerhalb der nächsten zehn Jahre um fünf Prozent“.

Besonders eindrucksvoll für die Forscher war, dass sie neben zwei Genen, die an der elektrischen Erregungsleitung beteiligt sind, insgesamt sechs Gene identifizieren konnten, die eine wichtige Rolle bei der Ausdifferenzierung der Vorhöfe im Rahmen der Embryonalentwicklung spielen. Dies legt nahe, dass die anatomische Struktur der Vorhöfe eine mindestens ebenso große Relevanz für PQ-Intervall und Vorhofflimmerrisiko hat, wie die elektrische Aktivität.

Neben Herzrhythmusstörungen stehen Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, neurodegenerative Erkrankungen wie z.B. Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson sowie andere Zivilisationskrankheiten ganz oben auf der Agenda der Forscher in aller Welt. „Es ist schon faszinierend zu sehen“, sagt Thomas Meitinger, Direktor des Instituts für Humangenetik am Klinikum rechts der Isar der TU München und des Instituts für Humangenetik am Helmholtz Zentrum München, „mit welcher Geschwindigkeit sich das Feld entwickelt hat. Vier Jahre nach unserer ersten kleinen genomweiten Assoziationsstudie mit 200 Personen führen wir nun bereits Studien mit über 20.000 Teilnehmern durch und finden aufgrund der höheren statistischen Aussagekraft immer mehr und immer kleinere genetische Effekte“. Die Kritik, diese kleinen Effekte seien praktisch bedeutungslos, lässt er nicht gelten. „Es geht uns nicht in erster Linie um die Nutzung dieser Genvarianten zur Risikovorhersage. Allein schon die Entdeckung eines neuen krankheitsbeteiligten Gens an sich ist den Aufwand wert, denn es kann Medizinern, Physiologen und Biologen neue Wege zum Verständnis der funktionellen Zusammenhänge in der Zelle eröffnen und mittelfristig zur Entwicklung neuer Therapiestrategien führen."

Perspektiven für die Zukunft: Weltweit sind über 60 Millionen Menschen von Vorhofflimmern betroffen, d.h. ungefähr 1 Prozent aller Weltbürger. Davon leben etwa 800.000 Betroffene in Deutschland. Vorhofflimmern ist einer der Hauptrisikofaktoren für einen Schlaganfall und damit Ursache für mindestens sieben Millionen Todesfälle pro Jahr weltweit. Es vererbt sich auch in Familien und führt zu einem etwa 2,5-5 fach erhöhten Risiko bei Angehörigen ersten Grades von Betroffenen. Schon länger vermutet man daher, dass genetische Unterschiede manche Menschen anfälliger machen können. Doch nun können diese Unterschiede im Genom lokalisiert und fassbar gemacht werden.
Die Forscher hoffen, dass sich aus den aktuellen wissenschaftlichen Ergebnissen einmal aussagekräftige Tests für die medizinische Diagnostik und Risikovorhersage ableiten lassen, auch wenn die derzeit bekannten Gene nur einige wenige Prozent der Gesamtvariabilität erklären. Pfeufer: „Wir werden in den kommenden Jahren Studien mit hunderttausenden von Teilnehmern durchführen. Erst dann, vielleicht in fünf bis zehn Jahren, wird sich ein vollständiges Bild der genetischen Variation abzeichnen und so auch die Risikovorhersage für den Einzelnen Eingang in die praktische Krankenversorgung finden.”
Schon jetzt tragen die Ergebnisse dazu bei, aufzuklären, wie genetische Unterschiede das Vorhofflimmern auf zellulärer und molekularer Ebene beeinflussen, um seine Ursachen zu verstehen. Letztlich könnten die Erkenntnisse in Zukunft neue Therapieformen ermöglichen.