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In der Studie wurde das Genmaterial von mehr als 50.000 Menschen untersucht. Die Wissenschaftler hoffen nun, dass das Forschungsergebnis den Weg für neue Therapien ebnet. Finanziell wurden die Kölner Wissenschaftler dabei im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN-plus) und durch das Zentrum für Molekulare Medizin Köln unterstützt.

Patienten mit einer spezifischen DNA-Variante zwischen zwei Genen auf Chromosom 8, PGCP und MTDH/AEG-1, haben ein erhöhtes Risiko, an einer Migräne zu erkranken, so das Ergebnis der Studie. Eine mögliche Erklärung für diesen Zusammenhang sehen die Wissenschaftler darin, dass diese DNA-Variante u. U. den Glutamat-Haushalt reguliert. Glutamat ist als Neurotransmitter bekannt, der Informationen zwischen den Nervenzellen im Gehirn transportiert. Eine Anhäufung von Glutamat in den Nervenzellenverbindungen (Synapsen) könnte dabei eine wichtige Rolle beim Auslösen von Migräneanfällen spielen. Ziel neuer Therapieansätze wäre es dann, die Ansammlung von Glutamat an den Synapsen zu minimieren.

Etwa jede sechste Frau und jeder zwölfte Mann sind von Migräne betroffen. Neben dem persönlichen Leiden der Betroffenen hat die Krankheit auch immense wirtschaftliche Folgen: Einer US-amerikanischen Studie zufolge sind die durch Migräne verursachten Kosten den Kosten der Zuckerkrankheit vergleichbar. Damit gehört die Migräne zu den teuersten Erkrankungen der US-amerikanischen und europäischen Gesellschaft und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) listet die Migräne unter die 20 Krankheiten, die Patienten am schwersten beeinträchtigen. In der Vergangenheit konnten lediglich genetische Mutationen als Ursache sehr seltener und extremer Formen von Migräne gefunden werden. Die Wissenschaftler sind nun erstmals einer genetischen Variante auf der Spur, die als mitauslösender Faktor der häufigen Migräneformen anzusehen ist.

„Wir können damit einen Blick in das Genom von tausenden von Menschen werfen und genetische Hinweise finden, die uns helfen, die einfache Migräne besser zu verstehen“, so Dr. Aarno Palotie, Leiter des International Headache Genetics Consortiums am Wellcome Trust Sanger Institute. „Studien dieser Art sind nur möglich durch eine großangelegte internationale Zusammenarbeit, bei der vielfältige Expertisen und enorme Ressourcen zusammengebracht werden.

Die Wissenschaftler führten eine sogenannte genomweite Assoziationsstudie durch, um Varianten des Genoms, die die Anfälligkeit für Migräne erhöhen, zu identifizieren. Dazu verglichen sie primär genetische Daten von mehr als 3.000 Menschen aus Finnland, Deutschland und den Niederlanden, die unter Migräne leiden, mit dem Genom von über 10.000 diesbezüglich gesunden Menschen. Die Befunde wurden durch eine weitere Testgruppe mit 3.000 Migräne-Patienten und 40.000 gesunden Menschen bestätigt.

Die statistische Analyse zeigt, dass eine DNA-Variante, die zwischen dem PGCP- und dem MTDH/AEG-1-Gen auf Chromosom 8 liegt, mit einer erhöhten Anfälligkeit für die gewöhnliche Migräne korreliert. Die Abweichung könnte dabei die Aktivität des MTDH/AEG-1-Gens verändern, welches wiederum die Aktivität von EAAT2 steuert. Interessanterweise ist EAAT2 mitverantwortlich für das Entfernen von Glutamat aus den Synapsen des Gehirns. EAAT2 wurde bisher mit anderen neurologischen Erkrankungen, wie Epilepsie, Schizophrenie und verschiedenen Stimmungs- und Angsterkrankungen in Verbindung gebracht.

„Obwohl wir wussten, dass das EAAT2-Gen eine wichtige Rolle für verschiedene neurologische Prozesse beim Menschen spielt, konnte bisher keine genetische Verbindung identifiziert werden, die darauf hindeutete, dass eine Anhäufung von Glutamat im Gehirn eine ursächliche Rolle bei der gewöhnlichen Migräne spielt“, sagt Prof. Dr. Christian Kubisch vom Institut für Humangenetik der Universität zu Köln (seit 01.08.2010 an der Universität Ulm tätig). „Das Forschungsergebnis ebnet nun den Weg für neue Studien, die es hoffentlich erlauben, tiefere Einblicke in die biologischen Prozesse der Krankheit zu nehmen.“

Weitere Studien zur identifizierten DNA-Variante und ihre möglichen regulativen Auswirkungen auf benachbarte Gene sollen helfen, den Mechanismus für Migräne-Attacken besser zu verstehen. Außerdem soll nach zusätzlich beteiligten genetischen Faktoren geforscht werden. Dafür will man künftig noch größere Stichproben berücksichtigen: „Bei den Patienten, die an der Studie teilgenommen haben, wurde zwar eine gewöhnliche Migräne diagnostiziert, allerdings wurden sie aus Spezialkliniken akquiriert“, erklärt Dr. Gisela Terwindt vom Leiden University Medical Center. „Weil alle diese Patienten eine Spezialklinik aufgesucht hatten, müssen wir davon ausgehen, dass sie unter einer extremen Form der gewöhnlichen Migräne leiden. Künftig sollten auch weniger schwere Fälle in die Untersuchungen einbezogen werden.“

Die Kölner Wissenschaftler aus dem Institut für Humangenetik und ihre Kollegen der Schmerzklinik Kiel wurden in ihrer Arbeit maßgeblich durch eine finanzielle Förderung im Rahmen des nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN-plus) des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie durch das Zentrum für Molekulare Medizin Köln (ZMMK) unterstützt. Die Studie wurde am 29.08.2010 im renommierten Wissenschaftsjournal Nature Genetics online publiziert.


 [Originalpublikation: Verneri Anttila, Hreinn Stefansson, Mikko Kallela, Unda Todt, … Christian Kubisch, Emmanouil T Dermitzakis, Rune R Frants & Aarno Palotie for the International Headache Genetics Consortium (2010). Genome-wide association study of migraine implicates a common susceptibility variant on 8q22.1. Nature Genetics; doi:10.1038/ng.652]