NGFN-PLUS

Identifizierung humaner Adipositasgene mit einem Fokus auf Entwicklungsaspekten

Leitung:    Prof. Dr. Anke Hinney
Institut: Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und -psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, LVR Klinikum, Universität Duisburg-Essen
Homepage: www.uni-due.de/zmb/members/hinney
Das Ziel des Teilprojektes ist die Identifizierung von genetischen Varianten, die sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei Erwachsenen zu Adipositas prädisponieren. Die Identifizierung von Genen erfolgte in diesem Teilprojekt hauptsächlich durch genomweite Assoziationsstudien (GWAS). Bis heute sind knapp vierzig Gene und Genorte bekannt, die Einfluss auf das Körpergewicht nehmen. Dabei hat jede einzelne Genvariante nur einen geringen Gewichtseffekt (Abbildung 1).


Abbildung 1: Effektschätzer für Genorte, die das Körpergewicht beeinflussen und die mittels Metaanalyse genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) identifiziert wurden. Das Genkürzel steht jeweils für die durch einen SNP identifizierte Region. Die Prozentzahlen über den Balken zeigen die Häufigkeit des Risikoallels. X-Achse: grau: europäische Population; Speliotes et al., Nat Genet. 2010; weiß: asiatische Population; Wen et al. Nat Genet. 2012, Okada et al. Nat Genet. 2012; schwarz: extreme Adipositas im Kinder- und Jugendalter; Scherag et al. PLoS Genet. 2010, Bradfield et al. Nat Genet. 2012.

Im Gegensatz dazu gibt es seltene Mutationen, die besonders gravierende Folgen haben. Die Arbeitsgruppe in Essen konnte zeigen, dass Personen, die funktionsrelevante Mutationen im MC4R Gen tragen, durchschnittlich um 15 (Männer) bis 30 kg (Frauen) schwerer sind (Dempfle et al., J Med Genet. 2004). Das MC4R-Gen kodiert für einen Rezeptor im Hypothalamus, der eine zentrale Rolle im Regelkreis der Energie-Homöostase besitzt (Abbildung 2).

Abbildung 2: Regelkreis der Energie- Homöostase im Hypothalamus (angelehnt an Barsh & Schwartz, Nature 2002). Ghrelin wird vom Magen ausgeschüttet und aktiviert den Ghrelin Rezeptor (GHSR) in den AGRP/NPY Neuronen (orange). Das Fettgewebe schüttet Leptin aus, was die Signalaktivität der AGRP/NPY Neuronen als Gegenspieler zum Ghrelin senkt. Außerdem aktiviert Leptin über den Leptinrezeptor (LEPR) die POMC/Cart Neuronen (gelb). Zwischen den AGRP/NPY und den POMC/Cart Neuronen gibt es eine wechselseitige Regulation über die Rezeptoren für Melanokortin 3 (MC3R) und Neuropeptid Y (Y1R). Zusätzlich aktivieren beide Neuronen den Melonokortin 4 Rezeptor (MC4R) in nachgeschalteten Neuronen (rot). Diese nehmen Einfluss auf die Menge an aufgenommener Nahrung und beeinflussen über das Sättigungsgefühl das Körpergewicht.

Wir haben die erste GWAS für frühmanifeste Adipositas durchgeführt. Mittels Chip-basierter Technologien konnten 500.000 Genvarianten bei 487 extrem adipösen Kindern und Jugendlichen sowie 442 gesunden schlanken Kontrollen analysiert werden (Hinney et al., 2007). Das dabei identifizierte „fat mass and obesity associated“-Gen wurde inzwischen in vielen unabhängigen Studien bestätigt und gilt als das am besten untersuchte Adipositas-Polygen. Zusätzlich wurde die weltweit erste familienbasierte GWAS für Adipositas durchgeführt, dabei wurden bis zu 1.000.000 Genvarianten bei 705 extrem adipösen Kindern und beiden Eltern untersucht. Da die beschriebenen Genvarianten nur einen kleinen Gewichtseffekt ausmachen, ist die Bestätigung solcher Befunde in (möglichst großen) unabhängigen Kollektiven wichtig. Daher flossen die Daten aus dem Adipositasnetz (TP1 und WB2 mit TP15) in verschiedene internationale Konsortien ein:

(a)    Im GIANT (Genetic Investigation of ANthropometric Traits)-Konsortium wurden die Genvarianten von ca. 250.000 Personen analysiert (ca. 35.000 Proben aus dem Adipositasnetz). Es wurden 32 Genorte (davon 18 bislang unbekannte Genorte) identifiziert, die einen Einfluss auf die Körpergewichtsregulation haben, wobei die entsprechenden Genvarianten einzeln und in Kombination Gewichtsunterschiede zwischen 130 g und 1,5 kg ausmachen (Speliotes et al., Nat Genet. 2010). Betrachtet man nur die Extreme der Gewichtsverteilung dieser 250.000 Personen, d.h. die 5 % mit dem jeweils höchsten und niedrigsten BMI (‚body mass index‘), konnten sieben weitere Genorte gefunden werden, die mit Adipositas assoziiert sind (Berndt et al., Nat Genet. 2013).

(b)    Darüber hinaus wurden im EGG (Early Growth Genetics) -Konsortium gemeinsam mit Kollegen aus aller Welt zwei neue Erbanlagen für früh-manifeste Adipositas entdeckt. In diese Analyse flossen Daten von 5.530 adipösen Kindern und Jugendlichen (BMI ? 95. alters- und geschlechtsspezifischen Perzentile, davon 705 Familienproben aus diesem NGFN-Plus Netzwerk) und von 8.318 normalgewichtigen Kontrollen (BMI < 50. alters- und geschlechtsspezifischen Perzentile) europäischer Herkunft ein (Bradfield et al., Nat Genet. 2012).

Das Wissen um diese Genvarianten ermöglicht es, die biologischen Mechanismen der Gewichtsregulation besser zu verstehen. Beispielsweise werden bekannte Regelkreise der Energie-Homöostase (Abbildung 1) durch die neuen Befunde erweitert und verfeinert.

Weitere Teilprojektleiter: