upload/mediapool//200/PodiumsdiskussionNEU.jpg
Expertenrunde während der Podiumsdiskussion 

Deutschland hat ein „dickes“ Problem -

Workshop zur Prävention von Adipositas in Deutschland


Mehr als die Hälfte der Deutschen ist übergewichtig, ein Viertel ist sogar adipös. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ist es notwendig, dass die Prävention von Adipositas in Deutschland stärker vorangetrieben wird. Entscheidend ist, das Thema Adipositas in einem gesellschaftlichen Konsens anzupacken; Akteure aus verschiedenen Bereichen wie der Politik, der Wissenschaft, dem Gesundheits-wesen aber auch der Lebensmittelindustrie sowie der Medien werden in der Verantwortung gesehen und sind aufgefordert, gemeinsam zu agieren. Zu diesem Schluss kamen Experten im Rahmen des Workshops „Perspektiven der Prävention von Adipositas in Deutschland – Möglichkeiten und Grenzen", der unter reger Beteiligung am 25.10.2012 in Berlin stattfand.

Adipositas ist chronisch
Laut der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) hat fast ein Viertel der Erwachsenen in Deutschland ein ausgeprägtes Übergewicht mit einem Body Mass Index (BMI, Körpergewicht / Körpergröße in m2) über 30 kg/m² und diese Tendenz steigt seit Jahren (DEGS Studie, 2012). „Besonders alarmierend ist derzeit die rasch ansteigende Zahl von Jugendlichen und Erwachsenen mit einem BMI über 35 kg/m². Diese Personen tragen ein hohes Risiko für Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes Typ 2 und Gelenkerkrankungen, die nicht nur die Lebensqualität beeinträchtigen, sondern auch das Leben verkürzen“, sagt Professor Hauner, einer der Sprecher des Kompetenznetzes Adipositas. Laut der Weltgesundheitsorganisation ist Adipositas als chronische Erkrankung definiert, die auf einer komplexen Wechselwirkung zwischen Erbanlagen und Lebensstil basiert.

Die Erbanlagen spielen eine große Rolle
„Ein großer Anteil der Ausprägung unseres Körpergewichts ist unseren Erbanlagen geschuldet, aber natürlich sind auch die Umweltbedingungen relevant“ erläutert Professor Hinney vom Nationalen Genomforschungsnetz (NGFN). Zu den Umweltbedingungen zählen eine energiereiche Ernährung, zu wenig Bewegung, aber auch der sozioökonomische Status sowie die Lebensweise an sich (z.B. Schlafgewohnheiten).
In sehr seltenen Fällen ist die Adipositas auf eine einzige Genvariante zurückzuführen. „Die Adipositas ist eine Erkrankung mit polygenetischen Grundlagen. Dies bedeutet, dass viele genetische Varianten einen Einfluss auf das Körpergewicht haben, wobei jeder einzelnen Variante nur ein geringer Effekt zugeschrieben werden kann. Hinzukommt, dass diese erst im Wechselspiel mit den umweltbedingten Faktoren die Entwicklung einer Adipositas beeinflussen“, sagt Professor Hebebrand, Leiter des NGFN-Verbundes „Molekulare Mechanismen der Adipositas“. Die Ergebnisse der Forschung zeigen, dass eine Prävention bereits während der Schwangerschaft von Bedeutung ist. Denn ein hoher Blutzuckerspiegel der Schwangeren hat einen lebenslang prägenden Einfluss auf den Stoffwechsel des Kindes und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind adipös wird oder sogar an Diabetes erkrankt.

Prävention lohnt sich langfristig

Die Belastung des deutschen Gesundheitssystems durch Adipositas wurde für das Jahr 2010 auf etwa 17 Milliarden Euro beziffert. Ein Anstieg in den nächsten Jahren ist zu erwarten. Ein wichtiger Konsens während des Workshops war, dass es eine Adipositas-Prävention geben muss, die mit begrenzten finanziellen Ressourcen die maximale gesundheitliche Förderung für jeden Einzelnen ermöglicht. Dabei richten sich die Präventionsmaßnahmen an die Gesamtbevölkerung, das heißt auch an normalgewichtige Menschen, um Übergewicht und Adipositas vorzubeugen, aber auch an die bereits übergewichtigen Personen, um eine gesundheitliche Verbesserung zu erzielen.
Die Präventionsmaßnahmen müssen über die Leistungen des Gesundheitswesens und bereits bestehende Förderprogramme für gesunde Ernährung und Bewegung verschiedener Anbieter hinausgehen. Auch die ethischen und juristischen Aspekte im Umgang mit adipösen Menschen müssen von den unterschiedlichen Akteuren thematisiert und verbessert werden. So ist es auch die Aufgabe der Zivilbevölkerung, Stigmatisierung und Diskriminierung abzubauen. Ausgrenzungen von Menschen mit Adipositas bereits im Kindergartenalter, Mobbing unter Schülern sowie Stigmatisierung im Privatleben und auf dem Arbeitsmarkt sind keine Seltenheit. Nachweislich steht die dadurch ausgelöste Resignation einer erfolgreichen Gewichtsreduktion im Weg. „Prävention braucht Zeit“, sagt Dr. Ried, Vorstandsmitglied des Kompetenznetzes Adipositas. Er verweist dabei auf die erfolgreiche Präventionsstrategie gegen das Rauchen. Hier seien über Jahrzehnte die notwendigen wissenschaftlichen Erkenntnisse gewonnen und politische Maßnahmen sowie gesellschaftliche Einstellungen debattiert worden, die schließlich zu nachweislichen Erfolgen geführt haben. "Wir müssen damit rechnen, dass wir nicht von einem Tag auf den anderen eine effektive Präventionsstrategie gegen Adipositas entwickeln und umsetzen können."

Fachübergreifender und gesellschaftlicher Ansatz notwendig
„Bisher haben sich noch nicht alle Akteure und Betroffene in Deutschland ausreichend mit dem Thema Adipositas auseinandergesetzt. Die Industrie (z.B. Lebensmittel, Automobil) sowie die Medien sind wichtige Partner für die Zukunft der Adipositas-Prävention, sie können Beiträge zu gesunden Lebenswelten und Lebensstilen leisten“, sagt Professor Müller, auch Sprecher des Kompetenznetzes Adipositas. Die Politik sollte den grundsätzlichen Konsens für eine „gesunde Gesellschaft“ herstellen und mit gesetzlichen Vorgaben Rahmenbedingungen schaffen, um gesunde Lebenswelten und Lebensstile in Deutschland zu fördern. Für den Erfolg von Präventionsmaßnahmen ist ein fachübergreifender Ansatz nötig, bei dem die Akteure aus unterschiedlichen Bereichen gemeinsam das Thema Adipositas anpacken. Dieser transdisziplinäre Aspekt zeigte sich auch bei den 130 Teilnehmern des Workshops „Perspektiven der Prävention von Adipositas in Deutschland – Möglichkeiten und Grenzen". Vertreter aus verschiedenen Bereichen von Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Krankenkassen, Verbänden und Medien haben an dieser Veranstaltung, die vom Kompetenznetz Adipositas und dem Nationalen Genomforschungsnetz organisiert wurde, teilgenommen.


Weitere Informationen unter:
www.kompetenznetz-adipositas.de