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 Netzwerk Mentale Retardierung ("MRNET")

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Leitung:    Prof. Dr. André Reis
Institut: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Homepage: www.humangenetik.uk-erlangen.de
Mentale Retardierung (MR) oder geistige Behinderung, neuerdings auch Intelligenzstörung (Englisch: intellectual disability, ID) genannt, betrifft etwa 2% der Bevölkerung und gehört zu den großen ungelösten Problemen in der Medizin. In der Mehrzahl der Fälle liegt eine genetische Ursache zugrunde, wobei bisher aber nur wenige Gendefekte bekannt waren. Das gemeinsame Ziel des German Mental Retardation Network (MRNET)-Projektes war deshalb die systematische Identifizierung von Genen für MR sowie die Untersuchung der Funktion der hierdurch kodierten Proteine. In dem Vorhaben wurden klinisch genetische Ansätze mit einer systematischen Genomanalyse vereint. Insgesamt wurden nahezu 3000 MR-Patienten rekrutiert und systematisch klinisch evaluiert. Es wurden sowohl sporadische als auch familiäre Fälle untersucht. 
Mehrere Strategien der Genidentifikation kamen zum Einsatz. Einerseits wurde genomweit nach kleinen und kleinsten genomischen Aberrationen mittels moderner Microarray basierter Verfahren gefahndet. Bei ca. 15% der bisher über 1.800 analysierten Fälle wurden krankheitsverursachende Veränderungen nachgewiesen. Bei Patienten mit ähnlichem Phänotyp wie bei denen mit einer genomischen oder strukturellen Aberration, erfolgte eine Suche nach Punktmutationen in Kandidatengenen innerhalb der genomischen Aberration. In familiären Fällen wurden Kandidatengene durch gemeinsame Vererbung der entsprechenden Merkmale mit genetischen Markern und damit über die Bestimmung des Genortes ermittelt (Kopplungsanalyse). Ferner wurde bei einem Teil der Patienten außerdem eine Komplettsequenzierung des gesamten kodierenden Abschnitts des Genoms (Exom) mit Hilfe massiv-paralleler Sequenzierungstechnologien durchgeführt. Schließlich wurde auch die Funktion von Kandidatengenen sowie der beteiligten Signalwege mit zellbiologischen Analysen und Tiermodellen untersucht.
Die koordinierte Vorgehensweise und die enge Vernetzung des MRNET-Verbundes ermöglichte die Identifizierung von etwa 80 Genen für MR. Insgesamt konnten 55 Publikationen in anerkannten internationalen Journalen mit Peer Review Verfahren veröffentlicht werden. Zwei Publikationen sind besonders erwähnenswert, eine in der Zeitschrift Nature (Nadjmabadi et al. 2011), in der 50 neue Gene für autosomal rezessive MR erstmalig beschrieben werden, und eine in dem angesehenen medizinischen Journal The Lancet (Rauch et al. 2012), in der eine umfassende Analyse der genetischen Architektur schwerer MR mittels Exom-Sequenzierung beschrieben wird.
Ferner wurde intensiv Öffentlichkeitsarbeit geleistet. Eine Webseite und ein Newsletter für die betroffenen Familien half den Kontakt zur allgemeinen Öffentlichkeit und zu den Betroffenen zu halten und über die Arbeit des Projektes zu informieren. Auch verschieden Medien einschließlich „Die Zeit“ und „Nature“ berichteten mehrmals ausführlich über die Arbeit des Netzwerks. Eine internationale wissenschaftliche Tagung 2010 in Erlangen, organisiert in Verbindung mit der Nationalakademie Leopoldina, trug erheblich zur Sichtbarkeit des Netzwerks in der wissenschaftlichen Community bei.
Letztlich erweitern die Ergebnisse des Verbunds ganz wesentlich die Diagnosemöglichkeiten bei betroffenen Menschen und tragen dazu bei, die Krankheitsursachen und -mechanismen besser zu verstehen. Insgesamt ist es mit den neuen technischen Möglichkeiten nun möglich, bei über 60 % der Betroffenen die genetische Ursache der Intelligenzstörung zu klären. Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass bei der Mehrzahl der Betroffenen ein neu entstandener Gendefekt (Neumutation) vorliegt. Diese Eltern haben deshalb nur ein geringfügig erhöhtes Wiederholungsrisiko.





Abbildung 1: Molekulares Karyogramm. Schematische Darstellung der Chromosomen einer Patientin mit mentaler Retardierung. Rote bzw. blaue Pfeile im linken Bildbereich markieren Regionen, in denen mittels molekularer Karyotypisierung Verluste oder Zugewinne von Erbmaterial vorliegen.
Auf der rechten Seite sind beispielhaft die Messpunkte in dem rot eingekästelten Bereich des Chromosoms 11 dargestellt. Die Abweichung der Punkte von der Grundlinie nach unten zeigt den Verlust (Deletion) eines Abschnitts von 11 Millionen Basenpaaren  11 an, der 58 teilweise im Gehirn exprimierte Genanlagen betrifft. Sie ist wahrscheinlich die Ursache für die mentale Retardierung.  Beide Eltern tragen diese Veränderung nicht, weshalb sie neu entstanden sein muss.

Detaillierte aktuelle Ergebnisse finden Sie in den Beschreibungen der Teilprojekte.

Teilprojekt: